Reisen mit Sinnen
22.02.2021

Wie kommt der Tourismus durch die Krise?

Über Großkonzerne, Politik und Nachhaltigkeit im Tourismus


Täglich wird in den Medien berichtet, wie es Unternehmen geht, die vom Lockdown – nunmehr seit fast einem Jahr – stark betroffen sind. Das betrifft ganze Branchen, besonders stark touristische Unternehmen. Viele kleine und mittelständische Unternehmen fürchten die Insolvenz. Der Umsatz bleibt aus. In einigen Monaten gab es Totalausfälle – also ein Rückgang um 100 Prozent. Wie will man da Fixkosten, wie Miete, Mitarbeiter*innen, trotz Kurzarbeit, den Unternehmerlohn und anderes finanzieren?
 


Die Großkonzerne TUI, Lufthansa und FTI haben Milliardenbeträge erhalten. Ziel ist es, in der Krise eine Insolvenz zu verhindern. Sowohl die Touristikbranche als auch der Verbraucher und Teile der Politik sehen das mehr als kritisch. Sind Hilfspakete in diesem Ausmaß fair dem Mittelstand gegenüber? Ist das fair den Menschen gegenüber, die am wenigsten haben? Ist es fair gegenüber der gesamten Kultur- und Kreativszene? Fragen dieser Art ließen sich beliebig ergänzen.

Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, betont, dass das Paket (für die TUI und Lufthansa) die absolute Ausnahme sein müsse. "Wettbewerbsverzerrungen gegenüber kleineren mittelständischen Tourismusunternehmern" sind die Folge. Scharfe Worte kamen auch von Sören Hartmann, Chef von DER-Touristik: "Wir sehen den dritten Staatskredit in Folge für die TUI kritisch. Mit jedem weiteren Kredit wird die Unwucht in der Reisebranche größer." Die TUI erhielt bislang fast 5 Milliarden Euro. Trotzdem wurden im In- und Ausland tausende Stellen abgebaut. Zudem – und das sollte man nicht vergessen: Der deutsche Staat, letztendlich der Steuerzahler, unterstützt und finanziert einen Konzern, der streng genommen keine deutsche Firma mehr ist. Die TUI ist an der Londoner Börse zu Hause und hat einen russischen Milliardär als Ankeraktionär.

TUI-Chef Fritz Joussen hat bei den Aktionären für das dritte milliardenschwere Rettungspaket geworben. Er sagte, dass die TUI durch die Reisebeschränkungen in der Pandemie über Nacht zu einem Unternehmen ohne Produkt und ohne nennenswerten Umsatz geworden ist. Wem geht das nicht so, gerade im Tourismus, der Hotellerie und im Gaststättengewerbe? Viele Menschen, nicht nur Wirtschaftsexperten, sondern auch der mitdenkende Verbraucher, haben inzwischen sehr große Zweifel am Geschäftsmodell der TUI. Nicht umsonst ist der Branchenriese Thomas Cook, der eine ähnlich Produktpallette hatte und vergleichbar wirtschaftete, in Konkurs gegangen. Vor Corona!

Solange TUI von öffentlichem Geld abhängig ist, muss das Unternehmen Bedingungen erfüllen. Es gibt Auflagen für die Hilfspakete seitens des Bundes. Doch sind die ausreichend und zielführend?

Der Konzern darf keine Firmen kaufen, darf an die Aktionäre keine Dividenden zahlen und keine Boni an die Manager zahlen. Das wars.

In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Greenpeace zur Coronakrise sprachen sich 70 Prozent der Befragten dafür aus, Wirtschaftshilfen für Unternehmen an Klimaschutzauflagen zu binden. Und wenn schon von einem „Neustart“ der Wirtschaft die Rede ist – wann, wenn nicht jetzt, ließe sie sich neu ausrichten: klima- und umweltfreundlich, sozial, gemeinwohlorientiert?

Kai Pardon, Gründer und Geschäftsführer des nachhaltigen Reiseveranstalters Reisen mit Sinnen sowie Vorstandsmitglied des Unternehmerverbandes „forum anders reisen“, der sich für Nachhaltigkeit im Tourismus einsetzt, sagt: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass Konzerne in Deutschland, die nicht systemrelevant sind, und das sind touristische Unternehmen nicht, Rettungspakete in dieser Höhe erhalten. Nachhaltigkeit ist bislang im Tourismus allein Unternehmensverantwortung. Es gibt staatlicherseits kaum Steuerungsregeln Richtung Nachhaltigkeit. Wir alle wissen, wie bedrohlich gerade der Klimawandel ist. Viele Urlaubsreisen benötigen eine Fluganreise. Warum wurden die Hilfsgelder nicht mit klaren Bedingungen verknüpft? Ich hatte mir beispielsweise gewünscht, dass die Emission der Flüge, solange es noch keinen klimaneutralen Treibstoff gibt, verpflichtend zu 100 % klimakompensiert werden. Das ist zwar eine Krücke, jedoch zurzeit ohne Alternative. Laut Bundesministerium für Umwelt strebt Deutschland bis 2050 eine komplette Treibhausgasneutralität an. Wie soll das erreicht werden, gerade auch beim Flugverkehr? Es ist hier eine Riesen-Chance verpasst worden, den Massentourismus klimafreundlicher und auch sozialverträglicher zu gestalten. Wir, Reisen mit Sinnen, kompensieren CO2 zu 100 % und übernehmen Verantwortung. Wir verzichten generell auf Kurzstreckenflüge und bieten Flugreisen nur an, wenn unsere Gäste bei einer Fernreise beispielsweise zwei Wochen im Land bleiben. Ein Wochenend-Trip zum Shoppen in New York oder London ist für uns tabu.“

Mit diesen Ansichten steht Reisen mit Sinnen nicht alleine da. Ähnlich äußern sich beispielsweise die Grünen. Deren Sprecherin für Wirtschaftspolitik, Katharina Dröge, verlangt klare Regeln für das Unternehmen: „Bei Krediten in dieser Größenordnung muss es Bedingungen geben, um Beschäftigung zu sichern und einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz einzuleiten.“
 


Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

25.02.2021, 09:38

Ich stimme euch voll zu; es wäre so dringend nötig, klimaneutrale Ziele umzusetzen. Die Bundesregierung hat hier eine große Chance verpasst. Vielleichht schaffen wir es, im Nachgang dort noch hin zu wirken. Viele Grüße, und alles Gute,
Michaela Lebert, Inghaberin von aktivReisen Lebert

Kontakt

+49 (0)231 589792-0 info@reisenmitsinnen.de